Ist euch aufgefallen, dass auf den schönen Glitzerbildern im Newsletter vom Frühling vor allem Körperteile von weissen Menschen abgebildet waren? Mir auch nicht. So eine Unaufmerksamkeit nennt sich blinder Fleck. Und solch blinde Flecken sind mitunter der Grund für viel Leid auf Erden. Jetzt mal ganz salopp gesagt. Wir sind nämlich von Natur aus bitzli blind in den Augenwinkeln (Evolution, Steinzeit, Jagen, Sammeln, Feuer machen, usw usf) und nehmen daher nicht alles wahr, was um uns herum geschieht. Manchmal wollen wir aber auch bewusst etwas ausblenden, sprich absichtlich ignorieren. Weil es uns so grad besser passt und wir uns ja schliesslich nicht um die ganze Welt kümmern können, gä. Was dann eben dazu führt, dass wird nicht erkennen, was um uns herum geschieht. Und solange wir nicht erkennen, solange können wir auch nicht benennen, verarbeiten und verändern. Dies bezieht sich auch auf Privilegien, die wir geniessen ohne uns deren bewusst zu sein. Bevor wir diese Aufgabe nun angehen, sollten wir bei klarem Kopf und mit vollem Magen sein. Deshalb, nach dieser leichten Vorspeise, hier weiter zu den Hauptspeisen:
Viele von uns sind immer noch / immer wieder im Home Office und haben schon im Frühling die Grenzen des täglichen Zmittagkochen-Universums erahnt. Weil diese Pandemie, wie jede Krise, aber auch kreative Kräfte freigesetzt hat, freue ich mich, euch hier ein paar Empfehlungen für Lieferdienst- und Abholjuwelen zu machen. Das sind alles kleine Betriebe in Zürich, die in den letzten Monaten voll unädure mussten. Trotzdem oder gerade deswegen haben sie einen Kampfgeist entwickelt und Durchhaltewillen bewiesen, den ich so sehr bewundere und respektiere. Und weil ich zufällig ein paar von ihnen kenne, gibt es hier sogar den einen oder anderen Rabatt. Nur für euch, sehr verehrte Leserinnen und Leser:
Currybag – Einmal die Woche kochen Thili und seine Crew eine grosse Auswahl von verschiedenen sri-lankischen Curries und liefern diese in der Stadt Zürich mit dem Lastenvelo aus (schweizweit per Postversand). Die Curries sind in 5 Minuten im Wasserbad aufgewärmt und halten gut 2 Wochen im Kühlschrank. Ihr meint, den Thili kennt ihr doch sonst woher? Richtig, er betreibt in pandemiefreien Zeiten den Kottu Roti Food Truck an den Zürcher Strassenmärkten. Weisch, diese Orte, wo wir in grossen Gruppen wild durcheinander drängten und alle aus demselben Teller assen. Irrsinnig. Ausserdem würde ich Currybag unbedingt auf den sozialen Medien folgen, die machen das richtig richtig gut. Witzig, gescheit, seriös und immer mit schönsten Bildern und Videos.
Klassiker zu Hause – direkt aus der ehrwürdigen Kaiser’s Reblaube. Chefköchin Inbar und Wirtin Beatrix offerieren einen Dreigänger mit Wein für die Festtage. Das Paket kann per Email bestellt und vor Ort abgeholt werden. Wer bis dahin die historischen Mauern en vivo erleben möchte, kann sich vor Ort ein Menu Surprise reservieren lassen (unbedingt Tisch reservieren). Die Reblaube gehört seit jeher zu den stillen Restos, die all ihren Fokus auf Küche und Service setzen und nicht viel Aufhebens von sich selbst macht.
Fonduekurier – Yup, richtig. Wer will, kann das Caquelon, das knusprige Brot und den Weisswein gleich dazu bestellen. Der Käse wird im Welschland hergestellt und das Fondue hier im gleichnamigen Laden an der Zweierstrasse gemischt und verkauft. Wie ganz viele weitere feinste Lebensmittel von kleinen Produzierenden dies- und jenseits des Röschtigrabens. Allez!
Armidas Lasagne – für Dihei. Das neuste Projekt von Nik (Armida ist seine italienische Grossmutter selig). Nik hat schon an der Badenerstrasse frische Pasta und Pizza gemacht, fährt seit diesem Jahr mit dem eigenen Food Truck durchs Land und hat kürzlich erneut umdisponiert. Pandemie sei dank, liefert er nun zweimal die Woche hausgemachte Lasagne direkt in den Briefkasten. Neu auch Lasagne bianche al tartufo.
Nun, da unsere Mägen zwar gefüllt sind, möchte ich trotzdem noch gerne (m)ein Tüpfli Senf dazu geben. Folgendermassen: Der Wohlstand unseres Landes beruht auf wirtschaftlich ausgerichteten Standards. Davon profitieren wir, z.B. indem wir eine obligatorische Grundausbildung durchlaufen oder indem wir in den Genuss von Sozialversicherungen kommen. Und sollten wir uns selbst auch nicht unbedingt als privilegiert wahrnehmen (kleines Salär, kleine Wohnung, kein Auto, selten teure Ferien, etc), so sind wir es doch. Zum Beispiel nur schon, weil wir nie einen Nachteil wegen unserer Hautfarbe erfahren haben. Falls jetzt jemand denkt, das sei ja wohl das kleinste von vielen Übeln, bitte hört euch den Podcast von Alice Hasters an, oder lest ihr Buch. Ich empfehle dieses Buch auch gerne Leuten wie mir, die sich für aufgeschlossen und offen halten, die denken, sie hätten keine Vorurteile und ziemlich Bescheid wüssten, was auf der Welt so läuft. Zurück zur Wirtschaft. Weil unser Land dank deren Maxime so viel Wohlstand (sehr viel für ein paar wenige, eher wenig für sehr viele) erwirtschaftet hat, setzt sich natürlich auch unsere Regierung entsprechend zusammen. Da sitzen mehrheitlich Experten für Handels- und Bankenrecht, aber keine für (Volks-)Gesundheit. Was ausserhalb von Krisenzeiten niemanden zu stören scheint. Jetzt aber, wo wir mitten in einer stecken, scheinen alle Arten von Räten, die gescheite Entscheide treffen müssten, irgendwie bitzli aufgeschmissen. Eine Zusammenfassung – oder ein Erklärungsversuch – könnt ihr hier lesen.
Ist ja bald wieder Weihnachten und obwohl sie dieses Jahr anders ausfällt als gewohnt, wiederhole ich mich: lasst die anonymen unkreativen Einkaufsstrassen wie auch den Versandhandel der Grossverteiler links liegen und unterstützt das Kleingewerbe. Lasst euch nicht durch die reisserischen Schlagzeilen der Presse irreführen, wenn sie fragen „Gesundheit oder Wirtschaft“. Einleuchtenderweise hängen die beiden direkt zusammen. Und ja, ich weiss, schwierig gerade mit den Bars, Restaurants und Klubs, aber mit Flexibilität geht auch da noch bisschen was: die neue Taverne hat z.B. ihre Öffnungszeiten angepasst, die Bar Sacchi ist tagsüber zur @collectivebakery mutiert, und der Sender GDS FM wurde zwischenzeitlich zum Kein Museum. Und dort wo wir den Sommer über Glacé und im Herbst Vermicelle assen, ist seit gestern der @thirstybreakfastclub zu Hause. Zmorge mit Apéro.
Also dänn, döf ich Ihne scho d’Dessertchartä bringä? Schöne, gewohnt stilvolle Geschenktipps findet Ihr auf dem Blog von Züri Isst. Verschiedene nachhaltige und unabhängige Kleinproduzentinnen haben sich im Sommer zusammengeschlossen und das Kollektiv Support Small Labels gegründet. Zurzeit findet sich der Geschenkomat auf ihrer Webseite. Für eine schöne Selektion von ganz vielen, unangepassten Kleinunternehmen in der Deutschschweiz besorgt euch das ekkoist Buch von der tollen Anina Mutter.
Wer findet, Material schenken ist dieses Jahr nicht nötig, kann mich gerne für eine Liste von unterstützenswerten Projekten (regional, national, international) anfragen. Sie ist ca. 3m lang und hat in diesem Liebesbrief nun wirklich keinen Platz mehr. Und nochmall wegen den blinden Flecken: darüber schreibe ich im nächsten Newsletter ausführlicher.
Bis zum Nächsten,
Nina
PS: Die Bilder in diesem Newsletter sind von den Künstlerinnen Brandy Chieco, Mimi Moffie und Jade Purple Brown.
PPS: Zum Schreiben gehört habe ich Mariah Carey’s Magical Christmas Special und LowFi HipHop Radio.
PPPS: Ab nächster Woche werden die Tage wieder länger.